Ranch-Fest

 

Seit neuestem wird in WKW zu „ivents“ eingeladen. Du siehst auf Deiner E-Mail-Eingangsliste den Hinweis Jemand lädt Dich zu einem Event ein und Du bist erfreut, dass man Dich gerne dabei hätte. Andererseits weißt Du in diesem Moment noch nicht, ob Du in einigen Wochen oder Monaten für den gleichen Tag eine Einladung zum Geburtstag der Ur-Oma erhältst und dann einige ihrer zahlreichen gleichaltrigen Gäste zuhause abholen und heimfahren sollst.

Die erste Eventeinladung kommt von einer jungen Frau, die ich an ihrem Verkaufsstand während einer TV-Aufzeichnung einer Country-Musiksendung in Ludwigshafen kennen gelernt habe. Sie ist inzwischen  Mitglied meiner Gruppe, und so nehme ich die Einladung zu einem Ranchfest an der Bergstrasse gerne an. Zwei Tage später lädt uns ein Vereinsfreund für den Abend des Eventtages zum Grillfest ein. Wir sagen zu, mir fällt auf der WKW-Menüleiste das Wort Kalender auf, ich klicke an und sehe den Eintrag Ranchfest am gleichen Datum. Okay, dann eben zwei Highlights an einem Tag, irgendwie eine Art Urlaubs-Feeling an einem ganz normalen Samstag, gemäßigter Terminstress, den wir auch anders kennen.

Mike beißt sofort erfreut als Begleiter an, als ich ihn überzeugungsstrategisch erst frage, ob er an diesem Wochenende vielleicht schon eine Fahrt zu einem Gespanntreffen – wichtigstes aller Freizeit-Termine - plant, und höre gerne, dass er bei schönem Wetter „nur ein bisschen fahren will“. Also schlage ich vor, meine schon mehrmals von mir aufgeschobene erste Mitfahrt im Beiwagen seines erst vor einigen Wochen erworbenen und höher motorisierten Motorrades mit diesem festen Ziel zu unternehmen.
 
Die übliche Überlegung Was ziehe ich an entfällt. Motorradstiefel, Jeans und Jacke passen zu CW, ich ziehe mein Heartliners-T-Shirt mit unserem Club- und Ortsnamen an, setze den Helm auf und lege meinen roten Westernhut in den Gepäckraum des Beiwagens, klettere wegen des breiten Radkastens auf ungewohntem Weg über die rechte Motorradfußraste hinein, rutsche den Sitz hinunter, wobei die Motorradjacke an mir hoch rutscht und trotz meiner Bemühungen nicht mehr herunterzuziehen ist, und denke, dass ich ohne fremde Hilfe hier nicht mehr rausfinde. Auf der Fahrt weht ein anderer Wind als bei früheren Ausfahrten im alten Seitenwagen, denn die Schutzscheibe ist flacher, und mein behelmter Kopf wird vom Fahrtwind nach hinten gedrückt. Ich bin gut drauf und denke Gut für die Halsmuskeln, rutsche dann aber doch weiter mit den Beinen in den Fußraum in eine leicht liegende Position und lege den Kopf hinten an das Rückenteil. Abgesehen vom Klonk, Klonk, Klonk beim Kontakt des Helms mit der Auflage durch fahrtbedingte Vibrationen ist es jetzt bequem. Nach einer Weile entscheide ich mich wegen des unter meinem Rücken entstandenen Hohlraumes dann doch wieder fürs Sitzen. Da mir der Begriff „Sonderumbau“ aus den vergangenen Motorradfahrerjahrzehnten bestens bekannt ist, weiß ich, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt, und genieße jetzt die schöne schnelle Fahrt.

Beim Überqueren einer Eisenbahnbrücke deutet Mike mit seinem rechten Arm nach unten auf das bereits sichtbare Ranchgelände, und ich sehe kurz buntes Treiben zwischen Gebäuden, Zelten und Tipis. Nur wenige Meter vom Eingang wird gerade ein Parkplatz frei, und - jetzt zahlt sich mein Krafttraining im Fitness-Studio wieder einmal im Alltag aus – ich kann den Seitenwagen ohne Mikes Hilfe zügig verlassen.

Wir tauschen die Helme gegen die Hüte, und Mike, mit dem ich am Tag vorher über die Forumdiskussion zum Thema Bekleidung und kleine Zeichen von Szenenakzeptanz gesprochen hatte, trägt zum ersten Mal bei einer CW-Veranstaltung statt seines australischen Akubra-Cattleman einen hellen Westernhut mit Luftlöchern aus meiner kleinen Sammlung. Der Hut ist im etwas zu klein und sitzt deshalb etwas hoch, aber Mike sagt, dass er sich mit diesem Sonnenschutz wohl fühlt.

Der Eintritt ist frei, wir schlendern hinein, hören gedämpftes Trommeln. Meine WKW-Gruppenfreundin spricht mich an, sagt, dass sie mich am roten Westernhut, den ich auch auf meinem WKW-Foto trage, schon von weitem erkannt hat. Wir stellen uns gegenseitig unsere Männer vor, reden eine Weile, und bekräftigen noch einmal unser Treffen bei der nächsten Aufzeichnung der TV-Musikbox. Mike und ich gehen an einer kleinen Schmiede, deren Esse gerade angeheizt wird, und an Verkaufsständen mit Pfeilen, Perlen, Silberschmuck und Webarbeiten vorbei weiter ins Gelände. Ein Tisch mit Bank unter einem Apfelbaum ist frei, wir setzen uns und stützen das Gleichgewicht der auf dem abfallenden Gelände schräg stehenden Bank mit den Füssen. Durchs Mikro wird eine indianische Tanzvorführung angekündigt. Der Takt des rhythmische Trommelns und Tanzens symbolisiert den Herzschlag der Mutter Erde. Zwischen Zuschauern hindurch sehen wir auf eine kleine Holzdielen-Tanzfläche, die jetzt von den Tänzern betreten wird. Sie tragen reichen und sehr aufwändigen Federschmuck auf dem Kopf und an Teilen ihrer Wildleder-Kleidung, der Trommler dagegen überwiegend nackte Haut, die Augenpartie schwarz bemalt. Nach der Vorstellung und dem anerkennenden Klatschen der Zuschauer kehren Tänzer und Trommler zu ihren Tipis im hinteren Geländebereich zurück, und fernes Trommeln begleitet das weitere Geschehen.


Die Band ist kurzfristig als Ersatz für die ursprünglich angekündigte Band eingesprungen, die wegen Erkrankung eines Mitgliedes absagen musste, und beginnt jetzt, gefällige CW-Musik zu spielen, bei deren Lautstärke sich noch gut unterhalten werden kann. An der Seite des Bandpavillons sammelt sich eine Tanzgruppe, die Männer an den Metallschildchen auf der linken Brustseite ihrer Hemden und die Frauen an ihren kniekurzen Petticoat-Röcken unschwer als Square Dancers zu erkennen. Auf der Tanzfläche beginnen zwei Frauen einen Line Dance. An den Mundbewegungen der Einen sehe ich auf die Entfernung, dass sie ihrer ungeübteren Mittänzerin Tanzkommandos gibt. Als sie zu einem mir unbekannten Song den Black Coffee in angepasstem Tempo beginnen, gehe ich auch hinunter, treffe zusammen mit zwei weiteren Liners ein, stelle mich auf eine Position und tanze mit. Nach dem Tanz gehe ich zurück zu Mike, der sich aufmacht, Getränke zu holen und sich an einer kleinen Schlange vor einem Holzhaus mit Tresen einreiht, über dem auf einem Querbalken steht Good Food. Die drei auf der Tanzfläche verbliebenen Linerinnen beraten sich auf der Tanzfläche noch zu einem für den augenblicklichen Song passenden Tanz, finden aber wohl keinen, den sie alle können, und gehen zu ihrem Tisch zurück. Dann stellt die Band die Square Dancers vor, und nach deren Auftritt wird auch schon die Vorführung einer Line Dancer-Gruppe aus Ludwigshafen angekündigt, die ihr aus mehreren verkürzten Tänzen bestehendes Programm mit lächelnden Gesichtern tanzen und so das Vergnügen vermitteln, das ihnen die Vorführung selbst bereitet.

Anschließend bleibt die Tanzfläche bis auf spielende Kinder leer, auch als die Band einen Song für alle anwesenden Line Dancers ankündigt. Eine völlig neue Erfahrung, denn auch alle Mitgliede der Line Dance-Gruppe bleiben sich unterhaltend an ihrem Tisch auf der schattigen Veranda sitzen.

Später steht ihr Boss in meiner Nähe; ich spreche ihn an und frage, wie ihr Tanz zum Song He Drinks Tequilla hieß – American Plum Dance, und auf welcher Home Page die Tanzbeschreibung zu finden ist, wisse seine Frau besser. Wir kommen zu viert ins Gespräch, die Beiden erzählen von ihrer regionalen Szene, Mike und ich von unserer, und als die ersten Takte des Chattahoochie erklingen, doch endlich der ersehnte interessierte Blick von Line Dancer zu Line Dancer. Der Chef der Gruppe ermuntert mit einer auffordernden Kopfbewegung zur Tanzfläche einen Tanzfreund auf der Veranda, der schüttelt den Kopf, und wir drei gehen rasch hinunter und stellen uns rechtzeitig in Position. Ich beginne mit Fans und die Beiden mit Heels, und bevor ich mich wundern kann, sehe ich die Beiden den Slapping Leather tanzen. Falls Leser kein Line Dancer ist: Der Slapping Leather wird auch Schuhplattler genannt, und Liner schlägt in einer bestimmten Tanzsequenz im Takt einmal hinter dem linken Knie und einmal vor dem linken Knie gegen seinen rechten Stiefel und vollführt dabei mit seinem Körper eine Vierteldrehung, um in die neue Richtung weiterzutanzen. In meinem allersten Anfängerjahr stellte ich mich einmal in der Erwartung des sicher beherrschten Tanzes Chattahoochie in der Mitte einer großen Tanzfläche auf, wo Anfänger ja eigentlich stehen sollten. Innerhalb von Sekunden kam ich mir vor wie ein Flipperball, als alle statt des von mir erwarteten und eigens für diesen bestimmten Song choreografierten eben diesen Schuhplattler tanzten und ich meinen schnellen Weg nach draußen suchte, ohne die Wechsel der Tanzrichtungen vorhersehen zu können.

Jetzt trete ich einfach zwei Schritte zu Seite und auf das Gras, sehe den beiden Schuhplattlern kurz zu, denke an den Tipp meiner Tanzlehrerin Peggy „Egal, was Du machst: zähle bis 8!“, trete zurück auf die Holzdielen und tanze wieder mit. Sie bemerken meine Unsicherheit, bleiben stehen, und wir beginnen noch einmal neu und gemeinsam mit dem nach dem Song benannten Tanz Chattahoochee, jetzt in Viereraufstellung zusammen mit mit einem weiteren Gruppenmitglied. Wir haben Spaß, die Zuschauer schauen wieder mit freundlichen Gesichtern zu, und ich denke Cool, jetzt tanzen die Drei mit mir einen zweiten kleinen Auftritt. Als wir die Tanzfläche verlassen, wird sie von einem Südstaaten-Hobbyisten-Tanzpaar betreten. Ein schönes, elegantes Bild, das ich zur Erinnerung fotografiere.

Mike holt Essen und Getränkenachschub; ich vertreibe mir die Zwischenzeit mit Umherschauen und bewundere die langen, unten durch Petticoat-Unterröcke weiten Taft- und Spitzenkleider zweier gerade mit ihren Begleitern eintreffenden Ladies mit zierlichen, zur jeweiligen Kleiderfarbe passenden Sonnenschirmen. Ich frage, ob ich ein Foto von ihnen machen darf, was sie mir lächelnd erlauben. Am Nebentisch sitzt ein Besucherpaar mit einem kleineren Mischlingshund mit der Halsbandaufschrift Kampfschmuser. Der Hund ruht schläfrig auf dem Grasboden halb im Durchgang zwischen den Tischen und Bänken. Eine der beiden Ladies geht den Durchgang entlang. Der Hund hebt den Kopf, sieht ihr entgegen, ohne zu weichen, und ist dann kurz nicht zu mehr sehen, als sie ohne Zögern elegant über ihn hinweg schreitet. Ich erwarte, dass er jetzt gerade versucht, einen Ausweg aus den raschelnden Röcken zu finden, aber als er nach dem Vorbeigehen der Lady wieder zum Vorschein kommt, scheint er sich nicht bewegt zu haben und blickt auf zu seinem Herrchen, das sich herunterbeugt und ihm sichtlich amüsiert den Kopf streichelt.

Es ist sehr kurzweilig hier, ständig gibt es etwas Neues zu sehen, die Männer mit historischen Uniformen und überhaupt alle Hobbyisten mit ihren vielfältigen und sichtlich hochwertigen Outfits, ihre Patronengurte und Gewehre, große Messer ein schweren Lederscheiden, die jungen und die schon angegrauten Cowboys und Trucker, Besucher, Hunde, die zum Teil Federn am Halsband tragen. Ein Cowboy lehnt mit angestelltem Bein entspannt am Holzgeländer des Bandpavillons und schlägt mit Löffeln taktsicher den gerade von der Band interpretierten Song auf dem Oberschenkel mit.

Zwischen den Bäumen ist für die Kinder eine an Seilen verankerte dicke, ausgestopfte „Kuh“ mit bimmelnder Glocke am Bauch befestigt, und die sie reitenden und sich gegenseitig herunterschüttelnden Kiddies landen in einem dicken Strohpolster. Ab und an ist der indianische Trommler zu sehen und versetzt die Schaukelkuh durch Seilbewegungen in so starke Schwingungen, dass die gerade hinaufkletternden und bereits auf ihr sitzenden Kinder in fröhliches Gekreische ausbrechen, so lange, bis sie alle auf die Strohunterlage heruntergerüttelt werden. Sie sind sich bei der Reihenfolge des Aufsitzens nicht immer einig, und als zwei Buben beginnen, sich mit dem Stroh zu bewerfen, sind gleich alle in eine Strohschlacht verwickelt. Wie auf ein geheimes, von Erwachsenen nicht hörbares Signal tauchen aus allen Bereichen des Geländes weitere Kinder auf und bewerfen sich gegenseitig ausgelassen lachend mit Strohbüscheln, bis das Stroh in weitem Umkreis verteilt ist und auch die Tanzdielen bedeckt. Eine Frau mit indianischem Schulterumhang tritt zu den Kindern, ruft sie leise zusammen, beugt sich zu ihnen hinunter und spricht ruhig mit ihnen. Die eine Hälfte zerstreut sich, die andere beginnt willig, das Stroh zusammenzuraffen und wieder unter die schaukelnde Kuh zu tragen. Ein größerer Junge kehrt die Tanzfläche sauber. Ich denke, dass dies eine nette Art ist, einen Spaß zuzulassen und in Ruhe auch wieder zu beenden.

Es ist früher Abend geworden, und wir beschließen, nach Hause zu fahren, um nicht zu spät zu unserer zweiten Einladung dieses Tages einzutreffen. Auf dem Weg zum Ausgang treffen wir noch einmal auf meine WKW-Gruppenfreundin und ihren Mann, und ich bedanke mich für die Event-Einladung, ohne die wir nicht von der Veranstaltung erfahren hätten. Beim Hinausgehen frage ich einen freundlichen Hobbyisten, ob ich ein Foto machen darf, er nickt lächelnd und fragt, ob es uns gefallen hat.


Ja, es hat uns sehr gefallen. Wir werden unseren Freunden davon berichten und im nächsten Jahr wieder kommen.